Wunderbare Wandlung
Eine neue Chance auf ein glückliches Leben
Mit einem kleinen Rucksack und einem Paar Stöckelschuhe kam sie in die Pflege-WG in Lage. Ihre Haare und Kleidung waren schmutzig und der Kontakt zu Menschen war quasi nicht möglich. Nach einem halben Jahr sind sich alle Pfleger*innen einig: „Sie ist kaum noch wiederzuerkennen“. Ihre Geschichte zeigt, wie Integration und Unterstützung Leben verändern können.
Die Senior*innenen-WG in Lage ist ein Neuanfang für die 70-jährige Christel. Sie war mehrere Jahre obdachlos, ohne festen Wohnsitz und ohne die Sicherheit eines eigenen Zuhauses.
Ihr Weg in die WG begann, als ihre Betreuerin Kontakt zu unserer Belegungsmanagerin Tanja aufnahm. „Ich hatte erst Zweifel, ob das funktioniert. Aber ich wusste schnell, dass wir das hinkriegen“, erinnert sich Tanja. „Wenn ich dann an den ersten Tag zurückdenke und sie heute sehe, kann man sich kaum vorstellen, dass das die gleiche Frau ist. Auch ihre Betreuerin hat sie kaum wiedererkannt.“
Da Christel ohne eigenes Hab und Gut in die WG kam, haben wir als DF für eine erste Grundausstattung gesorgt: Die Möbel bekam sie von einem verstorbenen Bewohner aus einer WG in Detmold und Kleidung stellten wir ihr zur Verfügung. „Wir haben ein paar ausrangierte Klamotten von unseren Kindern zusammengesucht und mit ein bisschen Geld noch in einem Geschäft ein paar Sachen für sie gekauft“, sagt Pflegerin Kathy. Und dann konnte es losgehen.
Der Start war eine Herausforderung. „Christel zündete sich zum Beispiel eine Zigarette im Wohnbereich oder ihrem Zimmer an, weil sie nicht wusste, dass das nicht erlaubt ist“, erinnert sich Kathy. Mittlerweile raucht Christel aber fast gar nicht mehr. „Wir haben uns mit ihr geeinigt, dass sie auf uns zukommt, wenn sie rauchen möchte. Und das wurde immer weniger, bis sie schließlich ganz aufgehört hat.“
Die Integration in die Gemeinschaft brauchte auch ihre Zeit. „Die anderen Bewohner*innen waren zunächst irritiert, da Christel nicht so sozialisiert war wie sie. Am Anfang hatte sie immer sehr großen Hunger und musste sich erst an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnen,“ erinnert sich Pflegerin Nicole. „Brot schmierte sie mit den Fingern und aß direkt vom Tisch ohne Teller. Doch sie hat sich unglaublich gut entwickelt“, berichtet Nicole. Darüber hinaus akzeptierten die anderen Bewohner*innen auch schnell ihre Eigenheiten und halfen ihr, sich einzugewöhnen. „Christel musste viele Dinge neu lernen, wie tägliches Duschen und Hygiene. Am ersten Tag mussten wir sie mehrmals duschen, um den Schmutz loszuwerden. Mittlerweile duscht sie auch selbstständig.“
Die Umstellung war für Christel auch aus anderen Gründen herausfordernd, da sie zunächst sehr ängstlich war, insbesondere in Gegenwart von Männern. „Im Obdachlosenheim hatte sie vermutlich schlechte Erfahrungen gemacht“, meint Nicole. Eine Schüchternheit ist ihr immer noch anzumerken, aber im Vergleich zu den ersten Tagen hat sie sich komplett gewandelt. „Sie weiß, dass sie hier in Sicherheit ist“, freut sich Kathy.
„Wir wissen außerdem wenig über Christels Krankengeschichte. Sie konnte fast nichts sehen und ist häufig irgendwo gegen gelaufen“, erklärt Nicole. Mittlerweile wurden ihre Augen gelasert und sie kann wieder bis zu 80 Prozent sehen. Ein besonders emotionaler Moment war, als Christel ihre neue Brille bekam. „Sie hat vor Freude geweint. Einerseits weil sie besser sehen konnte und andererseits, weil es ‚einfach‘ eine neue Brille war“, erinnert sich Kathy.
Christel selbst ist wegen des Interviews sehr aufgeregt und hat sich extra schick gemacht. „Ich fühle mich sehr wohl hier und finde es super, wie ich behandelt werde“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrer engsten Kontaktperson Pflegehelferin Sylvia und der Pflegefachkraft und Teamleitung Kathy posiert sie im Garten und strahlt über das ganze Gesicht. Besonders freut sich Christel über die regelmäßigen Besuche ihres Sohnes aus Detmold und den telefonischen Kontakt zu ihrer Tochter aus Bielefeld. Christel hat in der WG auch neue Hobbys entdeckt. „Sie puzzelt gerne und bastelt Perlenketten. Bei den Aktivitäten ist sie voll dabei“, berichtet Kathy. Viel Freude bereiten ihr Tiere: zum Beispiel die beiden Hunde, die im Garten des Heims häufig umhertollen, oder die Mini-Ponys, die schon zu Besuch waren.
„Ihre Geschichte ist ein tolles Beispiel dafür, dass man auch in schwierigen Lebenssituationen Hoffnung und eine neue Perspektive finden kann“, betont Nicole. „Wir sind stolz auf Christel und auf das, was sie erreicht hat.“